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>> Übersicht Zielgruppe 6/7 bis 13 Jahre
Gemeinsamkeit und Ausgrenzung: Die Bedeutung von Big Brother für Kinder
Fernsehen
ist Teil des Alltags von Kindern. Dabei sehen sie nicht nur
klassisches Kinderfernsehen, sondern auch Sendungen, die von
den Produzierenden zunächst nicht vorwiegend für
sie gedacht sind. Ein Beispiel hierfür ist Big Brother,
eine Sendung, die in erster Linie auf die jüngeren Segmente
der werberelevanten Zuschauenden, also die 19 bis 29-jährigen
abzielte, jedoch gerade bei den 14 bis 19-Jährigen einen
enormen Erfolg hatte und auch von 6-13-Jährigen Kindern
gesehen wurde (vgl. Grafik 1). Die Big Brother-Trailer
zur Pokémon Sendezeit, die Hinweise in Bravo
und Bravo TV, sowie nicht zuletzt die Gespräche
in den Schulbussen und auf Schulhöfen lassen erahnen,
dass die Sendung auch für letztere Altersgruppe relevant
ist.
Nach den GfK-Zahlen,
hier anhand des Marktanteils gezeigt, ist die Sendung insbesondere
für Jugendliche (14 bis 19 Jahre) und junge Erwachsene
(20 bis 29 Jahre) relevant, erreicht aber auch bei den Kindern
beachtliche Marktanteile. Schon bei Jugendlichen und Erwachsenen
ist die massenhafte Begeisterung für die Sendung schwer
nachzuvollziehen. Was aber bedeutet die Sendung für Kinder?
Wie integriert sich die Serie in den Alltag und wie ist dies
pädagogisch einzuschätzen? Um zumindest einen ersten
Eindruck von der Rezeption der Sendung durch 6-13-Jährige
zu geben, werden im Folgenden erste Ergebnisse aus dem aktuellen
Forschungsprojekt des Internationalen Zentralinstituts für
das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zur "Bedeutung
von Daily Soaps für Kinder und Jugendliche" (vgl.
Götz in diesem Band) vorgestellt, in dem u.a. eine Teilstudie
zu Big Brother durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt
dieser Teilstudie standen 51 offene Einzelinterviews, die
mit Gruppendiskussionen mit 273 Schülerinnen und Schülern
einer Grundschule und Einzelfallanalysen ergänzt wurden.
Die Lieblingssendung
in der Grundschule ist Pokémon, Big Brother liegt mit
viel Abstand auf dem vierten Platz
In Gruppendiskussionen
mit Grundschulkindern in Norddeutschland im Mai 2000 wurden
Fernsehvorlieben und Fernseherfahrungen thematisiert. In 24
nach Geschlecht getrennten Gruppen erzählten die Kinder
zunächst von ihren jeweiligen Lieblingssendungen. Über
alle Gruppen war Pokémon mit 131 Nennungen eindeutig
auf Platz 1, gefolgt von Schloß Einstein (27
Nennungen) und Gute Zeiten, schlechte Zeiten (22 Nennungen).
Mit deutlichem Abstand fand sich Big Brother (12 Nennungen)
auf dem 4. Platz, vor Pfefferkörner, Dragon
Ball und der Angabe "Tierfilme". Sicherlich
sollten diese Zahlen nicht überbewertet werden, denn
die Stichprobe ist nicht repräsentativ und es entsteht
bei Gruppendiskussionen eine eigene Dynamik. Dennoch gaben
einige Kinder Big Brother als Lieblingssendung an.
Mädchen
äußerten sich meist kritisch zu Big Brother
Gesprächsanlass
der Gruppendiskussion war eine Drehscheibe, in deren Sichtfenster
Aufnahmen aus Fernsehsendungen zu sehen waren. In einem Feld
waren unter anderem das Logo von Big Brother sowie
Zlatko, Andrea und John zu sehen. In allen Gruppen, besonders
intensiv jedoch bei den Jungen, riefen die Kinder spontan
den Namen "Big Brother" in die Runde, auch
wenn sie das "th" oftmals nicht artikulieren konnten.
Es ergaben sich Diskussionen, in denen sich die Mädchen
der Tendenz nach eher kritisch gegenüber der Sendung
positionierten. Ihr Hauptkritikpunkt war, dass die Sendung
eher langweilig sei, weil so viel geredet würde.
"Ich finde Big
Brother auch irgendwie langweilig, weil ähm, die
labern da nur rum und kochen da vielleicht manchmal oder
so." (Rieke 9 Jahre)
Ein weiterer Kritikpunkt
bezog sich darauf, ständig unter Beobachtung zu sein.
"Also irgendwie
find’ ich die Idee von Big Brother auch irgendwie
ganz blöd, weil das ist doch, das ist ein Container,
da lebt man da und überall wird man gefilmt, da kann
man nicht mal in Ruhe irgendwas machen." (Mina 10 Jahre)
Bei den Mädchen
wurden die wenigen Schülerinnen, die Big Brother gerne und regelmäßig sahen, schnell und effektiv
von den anderen zur Ruhe gebracht und meldeten sich selbst
mit Unterstützung der Diskussionsleiterin nur verschämt
zur Wort. Die die jeweiligen Gruppendynamik bestimmenden Mädchen,
bezogen in allen zwölf Gruppen eine ablehnende Position
zur Sendung.
In der Diskussion setzte sich
bei den Jungen die positive Einstellung zu Big Brother durch
In den Jungengruppen
wurde Big Brother insgesamt ausführlicher diskutiert.
Auch hier trafen positive und negative Einschätzungen
aufeinander. Insgesamt dominierten in dieser und anderen Jungengruppen
am Ende die positiven Einstellungen zu Big Brother,
die insbesondere von den lautstarken und diskussionsbestimmenden
Jungen befürwortet wurden. Ein typisches Beispiel für
den Ablauf der Diskussion in einer 3. Klasse ist folgender
Diskussionsauschnitt:
Zwei dominante Gruppen
lassen sich in der Gruppendynamik ausmachen, von der die
eine die Sendung "blöd" findet (Achim, Janek),
was sie vor allem mit dem Grundsetting (eingesperrt und
gefilmt) sowie der Geldgier begründet. Dem gegenüber
steht eine zweite Gruppe (Tom, Andre, Simon), die Big
Brother positiv sieht. Dem Eingesperrtsein und Gefilmtwerden
stellen sie die Freiwilligkeit gegenüber. Als Hauptmotiv
sehen sie Freundschaft, "Menschen kennen lernen"
und dass die Teilnehmer zeigen wollen, "wie man lebt".
Als Beispiel ein kurzer Ausschnitt aus der lebhaften Diskussion:
Achim. Ich
find' Big Brother nicht so gut, weil die gehen da
doch eigentlich fast nur rein, um dieses Geld zu, da zu
gewinnen.
Janeck: Ja,
stimmt.
Andre: (laut) Die wollen auch Leute kennen lernen!
Tom: (sehr
laut) Weil Jürgen, Jürgen ist richtig dick
befreundet mit Sladdy!
Interviewer: Moment!
Janeck: Ja,
und dass (...) find' ich auch irgendwie dumm, was interessiert
die denn dadran, dass ihr, ja, was interessiert die dadran,
wie die leben mit den Kameras?
Interviewer: Was
interessiert, was interessiert dich daran?
Simon: Wenn
ich daran, einer der ist mal rausgegangen, Zlatko, und der
war 'n, der ist einfach so Millionär geworden. Das
hat nur drei Wochen gedauert.
Interviewer: Hm?
Was, was interessiert dich daran?
Andre: Ja.
Da sieht man wie man, wie die leben, - wie die Sachen machen.
Achim: (energisch)
Ja, aber wenn sie raus wollen,
Unverständliches
Geschrei durcheinander
Interviewer: Seid
doch mal ruhig. Ist es denn gut, die Leute einzusperren
da?
Tom. Die
wollen das ja!
Andre: (laut)
Die können auch raus.
Tom: Die
wollen das ja! Sie wollen es ja!
Andre: Die
können raus, wenn sie wollen!
Simon: Ja!
Interviewer
(zu Kritikergruppe gewandt): Ja?
Achim: Ich
mag das nicht, weil .. in so Kam-, in so 'ner Kamera verstecken
sie sich immer so und das find' abartig.
Tom: Die
wollen zeigen, wie sie leben!
Achim und Janeck stehen Big Brother kritisch gegenüber. Sie sehen die
Hauptmotivation der Teilnehmenden im Finanziellen, was sie
nicht gut heißen. Andre und Tom hingegen stellen die
Motive in den Bereich von Freunde gewinnen, was sie vor allem
bei Jürgen und Zlatko wiederfinden. Janeck bringt an,
dass der Inhalt der Sendung für ihn nicht interessant
sei, womit Simon nicht übereinstimmt. Er findet zum Beispiel
den schnellen finanziellen Aufstieg von Zlatko faszinierend.
Auf die direkte Nachfrage, was Andre, einer der lautstärksten
Verteidiger von Big Brother denn an Big Brother interessiere, stellt dieser gerade die Alltäglichkeit
in den Mittelpunkt. Auch später im Einzelinterview wird
deutlich, dass es für ihn besonders interessant ist,
wie Menschen (und vor allem Männer) ihren Alltag in der
Gemeinschaft gestalten. Auf die Anmerkung, was denn sei, wenn
sie "raus wollen", führt die Befürwortergruppe
an, dass die Teilnehmenden sich freiwillig in die Situation
begeben hätten und das Haus jederzeit verlassen könnten.
Das Argument, die ständige Kamerabeobachtung sei irgendwie
"abartig", ein Hinweis auf ein potenzielles Unwohlsein,
was Achim nicht so detailliert begründen kann, verhallt
gegenüber den Argumenten der Befürwortergruppe.
Die Gruppendiskussion dreht sich noch eine ganze Zeit um Big
Brother, wobei sich schließlich die positiv eingestellte
Gruppe durchsetzt. Sie kann allen Argumenten, die von den
Gegnern der Sendung eingebracht wurden, Argumente entgegensetzen.
Diskutieren Kinder
über Big Brother, beziehen sie Standpunkte und
führen Argumente an, bzw. greifen sie aus der öffentlichen
Diskussion auf. Die Hauptquellen ihrer Argumentation sind
hierbei vor allem die Familie, die Peer-Group, in weit geringerem
Maße die Schule, da diese zur Serie kaum Stellung bezog
und vor allem das Fernsehen selbst. In den sonntäglichen
Studiosendungen beispielsweise wurden innerhalb des Big
Brother-Konzepts die Kritikpunkte aufgegriffen und durch
die Aussagen von Experten und Expertinnen widerlegt. Insofern
fiel es den Jungen hier vermutlich leicht, die Argumente der
kritischen Klassenkameraden zu entkräften. Eingesperrt
sein und unter ständiger Beobachtung zu sein wurde mit
Freiwilligkeit entgegnet und positive Gemeinsamkeit in den
Vordergrund gestellt. Die Kritikergruppe hatte es da um einiges
schwerer. Ihre Argumente waren vergleichsweise kompliziert
und weit weniger präsent.
Die Grenze: Beim
Duschen gefilmt werden
Unabhängig davon,
ob die Kinder Big Brother positiv oder negativ gegenüber
standen, äußerten sich alle skeptisch der Tatsache
gegenüber, überall gefilmt zu werden. Für Jungen
und Mädchen war der Punkt, den sie als problematisch
ansahen, die Szenen, in denen Menschen beim Duschen oder in
sonstigen verfänglichen Situationen wie "Popeln"
gezeigt wurden. Die 10-Jährige Sina aus der 4. Klasse
versucht, das Problem der Verletzung von Intimität zu
verdeutlichen:
"Bei Big
Brother ist das auch doof, ist’n doofer Film, aber ähm,
wenn die zum Beispiel die Frauen baden, da, dann sehn die
das ja alles (Lachen), das ist voll doof. Und bei den Männern
ist das genauso, das ist doof, wenn die popeln (Lachen),
dann sehn die das, und so machen, dann sieht man das ja.
Das ist doof." (Sina 10 Jahre)
Für Sina ist das
Duschen vor allem ein Problem von Frauen, von denen dann alles
zu sehen ist. Bei den Männern nahm sie diese Verletzung
der Grenze bei den Szenen wahr, in denen Männer bei weniger
präsentablen Situationen gezeigt wurden. Entsprechend
konnte Sina sich auch auf keinen Fall vorstellen, bei der
Sendung selber mitzumachen. In den Jungengruppen wurden amüsante
Varianten erfunden, mit diesem Problem umzugehen. Diese gingen
von "Badehose beim Duschen anlassen" bis zu "einfach
100 Tage nicht duschen".
Mit den Dusch-Szenen
wird die Schamgrenze von Grundschulkindern überschritten.
Sie wollen diese für sie peinlichen Szenen eigentlich
gar nicht sehen und lehnen sie für sich als völlig
untragbar ab (vgl. hierzu auch Schuhrke 1998).
Bei der Diskussion
um die Freiwilligkeit, die Motive der Teilnehmenden und das
Problem der Überwachung im Big Brother Haus, sind
die Kinder auf öffentlich präsente Argumente und
die Hinweise ihrer Eltern angewiesen. Der Punkt Schamverletzung
hingegen wurde im Medienarrangement nicht explizit aufgegriffen,
und die Kinder können aufgrund von Körpererfahrungen
ihre eigene Position beziehen.
Einzelbefragung von Kindern,
die regelmäßig Big Brother sahen
Gruppendiskussionen
können zunächst helfen, die Relevanz einer Sendung
einzuschätzen und zeigen, wie Big Brother in einem
entsprechenden Setting in der Gruppe diskutiert wird. An einigen
wenigen Stellen wurden Phantasien deutlich, die durch die
Sendung eröffnet wurden. Die Bedeutung der Sendung im
Alltag lässt sich hieraus jedoch nur erahnen. Hierfür
bedarf es Einzelbefragungen, die dem Kind die Möglichkeit
geben, über seinen oder ihren Alltag etwas zu erzählen.
In der Teilstudie wurden 48 qualitative Interviews mit Kindern
im Alter zwischen 6 und 13 Jahren durchgeführt (20 Grundschulkinder
/ 28 Orientierungsstufenkinder), die zum damaligen Zeitpunkt
regelmäßig Big Brother sahen.
Der Tendenz nach zeigten
sich zunächst altersspezifische Unterschiede, die vor
allem an der Grenze Grundschule zur Orientierungsstufe bzw.
weiterführende Schule deutlich wurden.
Die Basis der Aneignung ist bei
Grundschulkindern die Gemeinsamkeit mit der Familie
Von der Tendenz her
zeigten sich zunächst altersspezifische Unterschiede,
die vor allem an der Grenze von der Grundschule zur Orientierungsstufe
bzw. weiterführenden Schule deutlich wurden. Bei Grundschulkindern
ist eine regelmäßige Big Brother-Rezeption
zumeist in eine positive Haltung der Eltern gegenüber
diesem Format eingebunden und alle gaben an, die Sendung mit
ihren Eltern und/oder Geschwistern zu sehen. Entsprechend
sind Eltern und Geschwister die Menschen, mit denen auch am
häufigsten über Big Brother gesprochen wurde.
Nach Wahrnehmung der Kinder befürworten die Eltern Big
Brother und führen zum Teil gezielt die gemeinsame
Rezeption herbei:
Jana (9 Jahre): "Und
dann hat meine Mutter immer gesagt: Komm wir gucken jetzt Big Brother!"
Insgesamt lässt
dies vermuten, dass Grundschülerinnen und Grundschüler
die Sendung nur dann gesehen haben, wenn ihre Eltern sie ebenfalls
regelmäßig sahen. In der Gruppendiskussion berichteten
zwei Kinder davon, wie sie die Sendung einmal heimlich gesehen
haben, aber dies scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein.
Die Kinder erzählten, wie sie gemeinsam mit ihren Eltern
die Sendung sahen und sich über die Geschehnisse unterhielten,
Verhaltensweisen diskutiert und Entwicklungen gewertet wurden.
Für die Grundschulkinder,
die regelmäßig Big Brother sahen, war die
Sendung fest in die abendlichen Rituale integriert.
Interviewerin: "Wenn
Du Big Brother ansiehst, wie sieht das so aus?"
Lina (8 Jahre): "Vorher
mache ich mich fertig und dann gehe ich nach ganz oben,
(...) und dann kuschel‘ ich mich ins Bett zu Mama und gucke
ein Stück mit."
Der Big Brother-Rezeption
kamen dabei verschiedene interaktive Funktionen zu. Neben
körperlicher Nähe sind dies Formierung innerhalb
der Familie, die sich beispielsweise darin widerspiegelten,
wer die Sendung wo und mit wem sah und wer welchen Charakter
mochte. Darüber hinaus berichteten die Grundschulkinder
auch von Unterhaltungen mit den Eltern, bei denen Verhaltensweisen
diskutiert und Entwicklungen gewertet wurden. Aus der Perspektive
der Kinder hatte die Sendung jedoch vor allem einen besonders
wichtigen Effekt: Sie durften länger aufbleiben.
Inhaltlich steht für Grundschulkinder
Spaß, Harmonie und Gemeinsamkeit im Vordergrund
Inhaltlich heben Grundschulkinder
von der Tendenz her vor allem die Gemeinsamkeit in der Gruppe
hervor: Bei Big Brother machen Menschen etwas zusammen
und haben gemeinsam Spaß. Für die Kinder steht
dies im Vordergrund und sie genießen die lustigen und
freudvollen Momente, die Harmonie und das gemeinschaftliche
Lösen von Aufgaben. Besondere Attraktivität hatten
dabei die Wochenaufgaben, die kindernahe Themen beinhalteten,
wie z.B. das Aufbauen einer Spielzeugeisenbahn (vgl. Zeichnung)
oder das Auspusten von Eiern zu Ostern. Zu typischen Varianten,
was Kinder an Big Brother interessiert, Axel und Manuel:
Axel (9 Jahre) sieht Big Brother jeden Tag zusammen mit seinen Eltern.
Ihm sind die Späße besonders wichtig. Auf die
Frage, was inhaltlich bei Big Brother passiert, antwortet
er: "Kochen, machen Späße, bauen sich auch
was, z.B. einen Fernseher, und dann haben die mal Big
Brother News gespielt." Spaß und gemeinsam
etwas zu schaffen steht für ihn im Vordergrund. Es
interessiert ihn, wie sich Gemeinschaft gestalten lässt
und wie Auseinandersetzungen gelöst werden. Auf die
Frage, was ihm an Big Brother besonders gut gefällt,
erzählt er: "Dass die (...) so zusammen unter
Leuten. Dass man Streit haben kann und das so mit Worten
wieder ausbügeln kann. Dass die witzig sind. Ich nenn
jetzt mal ein Beispiel: Sabrina und Jürgen."
Auch bei Manuel (9
Jahre) sieht die ganze Familie begeistert Big Brother.
In dem, was er über die Sendung erzählt, steht
für ihn das "sich gut verhalten" im Mittelpunkt
der Aufgabe. Beispielsweise beschreibt er die Sendung: "Da
sind 10 Personen, die müssen sich gut verhalten und
müssen Freunde werden. Wer sich nicht gut verhält
wird nominiert und fliegt raus. Wer überbleibt kriegt
zweihundertfünfzigtausend Mark." Entsprechend
würde er selber, wenn er mitspielen würde, lustig
sein und die anderen gut behandeln. Entscheidend dabei ist
es für Manuel, dass dieses Verhalten selbstbestimmt
ist und nicht einem äußeren Zwang folgt.
Auf der Basis der Gemeinsamkeit
mit den Eltern greifen sich Grundschulkinder tendenziell zunächst
die harmonieorientierten Szenen und Zusammenhänge heraus
und stellen sie in den Mittelpunkt. Big Brother wird
von der Familie getragen. Ein wirkliches Infragestellen ist
jedoch nicht möglich.
Angelika
(8 Jahre) malt, was sie an Big Brother interessiert:
Gemeinsamkeit und Spaß beim Aufbauen der Eisenbahn.
Big Brother bei den 10- bis 13-Jährigen:
Big Brother ist das, worüber alle reden
Kinder kennen Big
Brother und bereits in der 3. und 4. Klasse ist es potenziell
Thema auf dem Schulhof. In der Orientierungsstufe verschärft
sich dieses um einiges. Während bei den Grundschülern
die Begeisterung für Big Brother vor allem im
Kontext der Familie im Vordergrund stand, änderte sich
dies bei den Pre-Teens. Die Angaben, Eltern oder Geschwister
sehen die Sendung ebenfalls, gehen deutlich zurück und
über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler
nimmt die Einstellung der Eltern gegenüber Big Brother als negativ wahr. Auch bei der Frage, mit wem über die
Sendung geredet wird, spielen die Eltern so gut wie keine
Rolle. Zu 80% sind jetzt die Freunde und Freundinnen die Gesprächspartner
zum Thema Big Brother. In der individuellen Aneignung
zeigen sich von der Tendenz her vor allem geschlechterspezifische
Unterschiede.
Big Brother als
Anpassung an die Peer-Group
Für eine größere
Gruppe von Mädchen und zwei Jungen ist Big Brother thematisch nicht übermäßig interessant, aber
es ist "Pflicht" in der Peer-Group. Durch die Gespräche
mit den Freunden und durch Bemerkungen in der Schulen, haben
sie angefangen, die Sendung zu sehen, um auch mitreden zu
können. Beispielhaft hierfür sind die Positionen
Mareike und Thessa.
Mareike(12 Jahre)
interessiert sich eigentlich nicht übermäßig
für die Sendung. Sie findet Jürgen gut "weil
er am lustigsten ist". Sie würde "Manu und
Alex nominieren". Ihre Lieblingsserie ist eigentlich Pokémon und Hinter Gittern, doch damit
kann sie in der Peer-Group keine Kommunikation herstellen,
denn alle reden über Big Brother: "In der
Schule haben immer alle darüber geredet". Um sich
mit ihrer älteren Freundin, die Big Brother mit großer Begeisterung sieht, beim Reiten gut unterhalten
zu können und auch in den Schulpausen nicht außen
vor zu stehen, sieht sie die Sendung.
Thessa (11 Jahre)
sieht zwar fern, hat aber auch viele andere Interessen. Gute Zeiten, schlechte Zeiten sieht sie mit ihrer
Schwester, Big Brother sieht sie etwa nach 50 Tagen,
vor allem deshalb, weil die Freunde es gut finden, denn
"alle haben erzählt, Big Brother das ist
cool. Da habe ich es auch mal geguckt." Sie selber
findet Sabrina und Andrea nett, die einzigen Frauenfiguren
der ‚letzten Tage‘, und würde sie auch gerne kennen
lernen. Vor allem Sabrinas Streiche findet sie lustig. Männer
erwähnt sie nicht. Das einzige Thema, was sie an Big
Brother ein bisschen interessiert ist, "(...) dass
es nicht nach Drehbuch ist, die machen, was sie wollen".
Bei "anderen Serien ist alles vorgeschrieben, was sie
machen, ist halt künstlich manchmal." Big Brother ist für Thessa echter als die anderen Serien. Entscheidend
ist jedoch, dass es etwas ist, worüber sie sich mit
der Schwester und ihren Freunden unterhalten kann.
Für eine ganze
Reihe von Schülerinnen und Schülern im Orientierungsstufenalter
ist die regelmäßige Rezeption von Big Brother vor allem etwas, was man sieht, weil alle drüber reden.
Sie folgen ‚nur‘ einem Trend, der nach Beendigung der 100
Tage sicherlich durch anderes abgelöst wird.
Big Brother als
Verlängerung von Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Eine andere typische
Ähnlichkeit unter den Mädchen war eine potentielle
Parallelität zu Gute Zeiten, schlechte Zeiten.
Oftmals gaben diese Probandinnen sich als Fan beider Serien
aus und erzählten, wie sie direkt im Anschluss an die
Soap zu Big Brother umschalten. Das seit Jahren regelmäßig
existierende Ritual um die Daily Soap wird dadurch um eine
Stunde in den Abend hinein verlängert. Neben den so geschaffenen
Kommunikationsanlässen stand für diese Mädchen
die parasoziale Einbindung in die feste Gemeinschaft im Mittelpunkt.
Nun kommen neben den schönen jungen Figuren von Gute
Zeiten, schlechte Zeiten 10 weitere ‚Freunde‘ von Big
Brother am Abend zu ihnen nach Hause. Die Art des gelingenden
Umgangs miteinander, Harmonie im Alltag und die Präsentation
von verschiedenen Typen von Mannsein sind hierbei zentrale
Punkte, welche die Mädchen begeistern.
Die Jungen nutzen
Big Brother subjektiv thematisch, um über Mannsein zu
diskutieren
Während bei den
Mädchen die eigene Meinung und Position nur schwer zu
erkennen ist, wird dies bei den Jungen sehr viel deutlicher.
Auch bei fast allen Jungen der Stichprobe ist Big Brother ein wichtiges Thema in der Peer-Group, das ‚in‘ ist und jeden
Morgen besprochen wird.
Tim (13 Jahre): "In
der Klasse morgens früh, wenn wir uns treffen. Wir
reden über die Sprüche, die da gefallen sind.
Und auch, was da so passiert ist."
Im Mittelpunkt der
Gespräche steht dabei vor allem das Verhalten der Männerfiguren
von Big Brother. In die interaktive Funktion eingebunden
sind hierbei thematisch subjektive Funktionen, denn die scheinbar
eher banalen Gespräche werden für die Jungen zur
sozial akzeptierten Möglichkeit, um über das Mannsein
zu diskutieren. Hier passt sich ein Medium in die männliche
Sozialisation ein, indem es Gelegenheiten schafft, über
ein schwieriges Thema zu kommunizieren. Kritische Männerforschung
arbeitete in den letzten Jahren vermehrt die Notwendigkeit
der Reflexion über dieser Zusammenhänge heraus (vgl.
z.B. Cornell 1999, Hollstein 1999). Traditionelle Männlichkeitsbilder
mit Beschreibungen wie Krieger, Stärke, Beschützerfunktion,
und Unverwundbarkeit haben ihre orientierungsstiftende Funktion
für Jungen verloren. Machoverhalten ist eher ein Synonym
für "nicht authentisches" Verhalten. Genau
diese Authentizität, das "Normalsein", wird
zur Orientierungslinie, die spontan als das Wichtigste beim
Mannsein genannt wird (vgl. Winter/Neubauer 1998, 149). Echt-und-Witzig-Sein
sind die neuen Ideale (vgl. auch Zimmermann 1999). Big
Brother, das die Authentizität und das ‚Normal-sein‘
von Menschen – und vor allem Männern – inszenierte, bietet
ihnen hier symbolisches Material. Besonders die Figuren Jürgen
und Zlatko schienen das Authentisch-und-witzig-Sein zu visualisieren.
Die Figur Zlatko wird zur Personifizierung von körperorientierter
Männlichkeit, Teamgeist und Männerfreundschaft.
Er ist alles andere als perfekt, kann damit aber selbstbewusst
leben. Auf die Frage, ob sich die Jungen vorstellen könnten,
bei Big Brother mitzuspielen, antworteten zwar die
meisten, sie wollen so sein wie "Sladdi". Die am
häufigsten genannte Lieblingsfigur ist jedoch Jürgen.
Die Jungen beschrieben ihn vor allem als witzig, betonten
seine Tochter, d.h. seine Familieneinbindung, bewunderten
seine Sportlichkeit und schätzten seine freudvolle, unbekümmerte
Art. Die Figur Jürgen erschien vielen als eine optimale
Variante des Mannseins. Vermutlich eröffnete Zlatko ein
Identifikationspotenzial, in dem Jungen sich auch mit ihren
Schwächen als anerkannt und erfolgreich denken konnten.
Jürgen hingegen bot Phantasien eines Vorbildes und einer
parasozialen Freundschaft, d.h. er entsprach der Vorstellung
des idealen Freundes, den man verehrt und mit dem man gemeinsam
Spaß hat.
Mario (13 Jahre)
ist von Big Brother begeistert und bezeichnet die
Sendung als: "Die spannenste Serie aller Zeiten"
Zentral sind die Männerfiguren, vor allem Jürgen
und auch Zlatko. Auf die Frage, ob er sich schon mal vorgestellt
hat, in der Sendung mitzuspielen, antwortet er: "Ich
wäre gerne Zlatko!". Allerdings nennt er auf die
Frage, ob er sich vorstellen könne, mit einer Person
aus Big Brother befreundet zu sein, Jürgen:
"dann würde ich mit ihm ins Kino gehen, Verwandte
besuchen, andere Freunde besuchen. Alles, was ich noch nie
gemacht habe." Auf die Frage, was sich in seinem Leben
verändert hat, seit er Big Brother sieht, antwortet
er spontan und mit voller Überzeugung: "Mehr Unterhaltung.
Ist mehr lustig im Leben. Und ich hab‘ ein Vorbild: Jürgen."
Big Brother wurde für Jungen, deren Thema die Auseinandersetzung
mit dem Mannsein ist, zum symbolischen Material, um bestimmte
Möglichkeiten zu denken und zu diskutieren. Das war in
der Sendung durchaus angelegt, denn Big Brother zeigte
Varianten von (inszeniertem) Mannsein. Durch das Casting und
die Inszenierung wurde körperliche Fitness mit den jeweiligen
Merkmalen z.B. cool (Alex), lustig-spaßorientiert (Jürgen),
betont authentisch und nicht bildungsorientiert (Zlatko),
freundlich fürsorglich (John) kombiniert. Insbesondere
durch die Figur John wurde hier eine gesellschaftlich gutgeheißene
(und letztendlich sogar siegreiche) Männerfigur angeboten,
die die bisherigen Medien-Stereotypen durchaus positiv erweitert.
Für Jungen machte dies vermutlich einen hohen Reiz aus.
Hier konnten sie sich ansehen, wie gesellschaftlich akzeptiertes
Mannsein aussehen kann und sich mit ihren Freunden darüber
austauschen.
Tim (13 Jahre) beschreibt
sich selbst: "Ich bin witzig, ab und zu auch mal hart,
eigentlich ganz normal." Für Tim ist es wichtig
über Big Brother bescheid zu wissen, denn "die
ganze Klasse guckt das". In seinen Medieninteressen
schließt Tim an die Freundesgruppe an, und löst
damit die seit der Grundschule mit der Mutter entwickelte
Fernsehgewohnheit "täglich Marienhof" zu sehen ab. Inhaltlich interessieren Tim vor allem
Männerbilder, wobei er sich an die Deutungsmuster seines
Freundeskreises anschließt (vier Freunde waren Teil
der Stichprobe), dies aber ausdifferenziert. Mit Jürgen
könnte er sich vorstellen befreundet zu sein. "Ich
würde ihm mein zu Hause zeigen, und er mir vielleicht
seins." Wenn Jan mitspielen würde, wäre er
jedoch Zlatko. Auf die Frage ob er sich schon mal vorgestellt
hat, mitzuspielen und wer er wäre antwortet er: "So
ein Zlatko, vom Typ her. Ich hätte ein bisschen Spaß
mitgemacht, gefaulenzt und ich hätte auch mal gekocht,
hat Zlatko aber nicht gemacht." Tim verbindet die Interpretationen
der Peer-Group zum Thema Männlichkeit mit Zlatko und
variiert sie, indem er die Figur mit Aspekten u.a. von Fürsorglichkeit
erweitert.
Sexualisierung und Abwertung
von Frauen werden von Jungen aufgegriffen
Neben diesen sicherlich
positiven Möglichkeiten für Jungen, sich mit Männerbildern
auseinander zu setzen, zeigen sich gerade in der geschlechterspezifischen
Perspektive auch problematische Bereiche. Denn bei der Darstellung
der weiblichen Teilnehmenden glitten die Bilder häufiger
in eine sexistische Abwertung ab, die von den Jungen aufgegriffen
wurde.
Auch bei Marcus (13
Jahre) ist Big Brother in der Klasse ein sehr wichtiges
Thema, denn "alle" unterhalten sich "immer"
im Bus über die Sendung. Jürgen gefällt ihm
von den Figuren am besten, "weil der sagt seine Meinung
und ist lustig" und treibt außerdem viel Sport,
so wie Marcus In die Erzählungen zu den Männerfiguren
eingebaut, berichtet Marcus auch von Frauenfiguren: "(...)
Manuela hat eine Sexhotline, da kann man anrufen (...) und
Sabrina arbeitet in einem Amüsierladen." "Sabrina
finde ich nicht gut, die ist voll verschuldet, die haben
schon eine Spende für sie." "(...) Jona wollte
Holz hacken und Zlatko hat ihr gezeigt wie das geht. Aber
Jona konnte das nicht so gut." Marcus beschreibt Männer-
und Frauenfiguren strukturell unterschiedlich. Während
die Männer kompetent sind, kennzeichnet er die Frauenfiguren
durch ihre Unfähigkeit oder stellt sie in einen sexuellen
Kontext.
Für Marcus geht
es darum, kennen zu lernen, wie Frauen sind und wie mit ihnen
umgegangen werden kann. Dies ist sicherlich ein ganz normales
Anliegen für einen 13-Jährigen. Durch die Inszenierung
der Männerfiguren erweckt die Sendung den Eindruck, adäquate
und zukunftsorientierte Umgangsformen mit dem Geschlechtersein
anzubieten. Dies gilt jedoch nicht für die Frauenfiguren,
obwohl die gecasteten Teilnehmerinnen durchaus Variationsbreiten
von Frausein ermöglicht hätten. Die Inszenierung
der Frauenfiguren bei Big Brother blieb im Vergleich
zu den Männerfiguren jedoch stereotyper und gleitet auch
mal in bloße Sexualisierung ab. Ein Beispiel:
Sabrina ist beim
Krafttraining. Gezeigt wird nicht die Gesamteinstellung,
sondern nur der Ausschnitt Kopf/Brust. Von der Anstrengung
des Krafttrainings stöhnt sie rhythmisch beim Gewichtheben.
Kamera(mann) bzw. Regie inszenieren sie ca. 30 Sekunden
lang, als sei sie in einer Beischlafsituation, ohne die
Situation in den eigentlichen dokumentarischen Kontext zu
stellen.
Eine ähnliche
Sexualisierung, d.h. Reduzierung der Menschen auf ihre Sexualität
oder als sexuelles Objekt, wäre bei den Männerfiguren
nicht denkbar gewesen. Die Männerfiguren wurden körperorientiert
und in Ansätzen erotisiert dargestellt, nicht aber in
einer so deutlichen Reduzierung.
Marcus, wie auch andere
Jungen, die sich jeden Abend die zeitweise einseitig sexualisierenden
Bilder ansahen und sie am nächsten Tag mit ihren Freunden
diskutierten, griffen diese Abwertung und Stereotypisierung
auf. Kritikpunkte sind hierbei nicht die erotisierten Momente
der Sendung. Darstellungen, die Frauen und Männer als
erotisch attraktive Menschen inszenieren, die ihnen Subjektivität
zugestehen und sie nicht zum Objekt machen, sind auch für
Jungen und Mädchen attraktiv und stellen eine Bereicherung
des Programmangebotes dar. Die Einseitigkeit der Sexualisierung
in der Kombination mit einer Inszenierung von Versagen legt
jedoch Deutungsmuster nahe, die als nicht unproblematisch
zu werten sind.
Kinder und Pre-Teens nehmen das
Motiv Ausgrenzung auf
Die Sexualisierung
der Frauenfiguren ist nicht der einzige problematische Aspekt
in der subjektiv sinnhaften Aneignung von Big Brother.
Insbesondere die Pre-Teens, und hier vor allem die Jungen,
nahmen noch ein weiteres Element aus der Sendung heraus und
integrierten es in ihre Deutungsmuster: die Ausgrenzung und
Abwertung unbeliebter Figuren.
Das Grundkonzept der
Sendung ist eine nach den Darstellungsweisen und der Dramaturgie
von Soap Operas inszenierte verhaltens- und persönlichkeitsorientierte
Spielshow (vgl. Mikos 2000, S.205). Nominiert und herausgewählt
wird nicht aufgrund bestimmter spezifischer Fähigkeiten
etwa sportlicher Art oder im Bereich von Wissen oder Geschick,
noch spielt das Glück eine entscheidende Rolle. Hier
werden Menschen als Ganzes, d.h. wegen ihres (inszenierten)
Habitus, ihrer Meinungen oder sonstigem herausgewählt.
Das Grundprinzip des Spiels ist es also, die Menschen aus
dem Spiel zu wählen, die nicht mehr gewollt werden. Dies
ist vom Prinzip eine persönlichkeitsorientierte Ausgrenzung.
Eine pädagogisch relevante Fragestellung ist es nun,
was Kinder mit diesen Momenten des Formats machen. Da Medienaneignung
etwas Aktives ist, was vor allem vom Individuum bestimmt ist,
ist diese Frage nur empirisch zu klären. Während
bei den meisten der 51 Interviews mit regelmäßig Big Brother Sehenden die Gemeinsamkeit und die Freude
am gelingenden Alltag im Vordergrund stand, spielt für
einige, und hier vor allem Jungen, die Freude an der Ausgrenzung
eine wichtige Rolle. Dies war oft dann der Fall, wenn die
Angst vor der Ausgrenzung ein wichtiges handlungsleitendes
Thema war.
Eines von Saschas
(12 Jahre) handlungsleitenden Themen ist es, nicht ausgestoßen
zu werden. Entsprechend orientiert er sich am Geschmack
seiner Peer-Group. Er hört die Musik und sieht die
Fernsehsendung, die "angesagt sind" und kann dies
begründen: "Weil man dann im Mittelpunkt steht
und nicht ausgestoßen wird." Entsprechend eignet
sich auch Big Brother, denn er kann sich mit seinen
"Freunden, Schulkameraden kurz vor der Schule, am Nachmittag"
unterhalten und sich sicher sein, ‚im Trend‘ zu liegen.
Inhaltlich stellt er die Mobbing-Szenen im Haus in den Mittelpunkt
und erfreut sich an der Gruppenbildung. "Ich habe mal
gelacht, weil es gibt eine, die heißt Manu, die mag
keiner, weil sie gegen Jürgen und Zlatko ist, sie sagt
die zwei sollen raus. Die war traurig und das war lustig
für die, die Jürgen und Zlatko mögen, also
auch für mich." "Manu muß raus, weil
die so kindisch ist und Jürgen und Zlatko nicht mag."
Vermutlich fühlt
der Junge sich von der Möglichkeit, ausgegrenzt zu werden
bedroht und kennt die Erfahrung. Entsprechend versucht er
sich an allem zu orientieren, was die Gefahr reduziert, selber
ausgegrenzt zu werden. Big Brother wird für ihn
hier doppelt interessant. Es ist im Trend, d.h. die Rezeption
minimiert die Gefahr, nicht ‚in‘ zu sein - und er findet sein
Thema wieder - kann sie aber von sich aktiv wegleiten. Mit
der Unterstützung der Peer-Group kann er andere ausgrenzen.
Die Grundstruktur der Sendung trifft hier ein handlungsleitendes
Thema, was besonders für ältere Kinder und Jugendliche
häufiger relevant ist: Die Angst, von den anderen nicht
anerkannt und aus der Peer-Group ausgegrenzt zu werden. Dieses
Grundthema finden sie in Big Brother wieder und es
bestärkt sie in der Annahme: Wer nicht beliebt ist, wird
ausgrenzt und fliegt raus. Gesellschaftlich akzeptiert und
von der Peer-Group unterstützt scheint dann die Ansicht
"Manu muss raus, weil sie ist gegen Zlatko und Jürgen".
Dies hilft weder auf individueller Ebene noch unterstützt
es Sascha beim Umgang mit seinem Thema. 1 Auf gesellschaftlicher Ebene sind diese Ausgrenzungsmechanismen
ausgesprochen problematisch (vgl. z.B. Haberer 2000).
Fazit: Die im Vordergrund stehenden
Themen von Gemeinsamkeit und Alltag verdecken die Deutungsmuster
von Ausgrenzung
Big Brother ist eine Form der Inszenierung von Alltag. Gezeigt werden
scheinbar "ganz normale" Männer und Frauen,
die gemeinschaftlich ihren Alltag gestalten und Aufgaben lösen.
Diese Momente der Gemeinsamkeit sind es auch, die Grundschulkinder
betonen. Es werden Formen des Umgangs und auch der Auseinandersetzung
dargestellt und in den entsprechenden Medienarrangements in
den Vordergrund gerückt. Ganz ohne Frage ist das erste Big Brother Projekt durch lange Strecken der Harmonie
gekennzeichnet, die für die einen ausgesprochen langweilig
waren, für Kinder und Jugendliche, die sich auf das Medium
einließen, aber etwas von dem boten, was sie suchten.
Hier konnten sie sich ansehen, wie "ganz normales"
Leben "authentisch" ablief, wie Aufgaben gelöst,
Konflikte bewältigt und wie modernes Mannsein ablaufen
kann. Den Figuren, die RTL 2 aus den Teilnehmenden stilisierte,
kam die Rolle von parasozialen Freunden zu, die jeden Abend
verlässlich ins Wohnzimmer kamen. Sie wurden Vorbilder
oder auch einfach eine Verlängerung der allabendlichen
Folge Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Auf der anderen
Seite erzeugte die groß angelegte Werbekampagne, zu
der auch die öffentliche Diskussion ihren Beitrag leistete,
insbesondere für Pre-Teens einen Zwang. Selbst wenn die
Sendung nicht unbedingt die eigenen Themen traf, so musste
sie doch regelmäßig eingeschaltet werden, um am
nächsten Tag mitreden zu können. Doch Kinder und
Jugendliche sind subjektiv handelnde Individuen und die Begründung,
sie hätten sich "nur" den Interessen und dem
allgemeinen Thema der Freundesgruppe gebeugt, wird ihnen nicht
gerecht. Ihnen gefiel die Sendung und sie konnten sie gut
in ihren Alltag integrieren. Durch die Oberflächenstruktur,
die vor allem von Harmonie und Gemeinsamkeit geprägt
war, schien die Sendung eine leicht verdauliche Abendunterhaltung.
Die Oberflächenstruktur
verdeckt jedoch das, was dahinter steht. Neben der zeitweisen
geschlechterspezifischen Sexualisierung ist dies vor allem
die Ausgrenzung aufgrund nicht konformer Verhaltensweisen.
Kinder nehmen diese Deutungsmuster auf - weniger deutlich
bei den Grundschulkindern, deutlicher in der Orientierungsstufe,
wo die Anerkennung und das "in-" und "out-"
Sein oftmals zu einem entscheidenden Orientierungsmoment wird.
Der Druck, "authentisch
und normal" zu sein (Winter / Neugebauer 1998), d.h.
nicht herauszufallen, ist einer der Hintergründe für
das Bemühen vieler älterer Kinder und Jugendlicher,
den "richtigen" Stil zu haben, mit dem sie nicht
ausgegrenzt werden und "normal" erscheinen. Big
Brother bot ihnen als Medienarrangement zum einen die
Garantie, nicht allein zu stehen. Andererseits ist es gerade
eine Symbolisierung dieses Mechanismus, in dem man nicht aus
der Norm herausfallen darf und die richtige Meinung und die
richtigen Interessen vertreten muss. Dies argumentativ zu
erfassen, ist ausgesprochen schwierig, denn auf der Oberflächenstruktur
scheint Big Brother ein Vorbild: Es wurden scheinbar
kompetente junge Erwachsene, die selbstbewusst ihren Alltag
unter schwierigen Bedingungen meistern, gezeigt und sogar
neue Formen von Mannsein inszeniert. Dies scheint Orientierung
zu geben und Hilfe zu bieten. Auf der Tiefenstruktur aber
verschärft es genau den Mechanismus, denn es wird vorgeführt,
was nicht gut ankommt und wer rausfliegt. Dies verschärft
den Druck auf den Einzelnen und bestätigt darin, dass
die Angst vor Ausgrenzung berechtigt ist, denn scheinbar alle
relevanten Bezugspersonen, die Peer-Group bei den älteren
Kindern oder die Eltern bei den jüngeren Kindern, unterstützen
das Prinzip Big Brother. Hierdurch wird es noch schwerer,
einen eigenen Weg zu finden, um mit der Angst ausgegrenzt
zu werden und dem Zwang, möglichst integriert zu sein,
umgehen zu können. Einfacher erscheint es da, die Deutungsmuster
der Sendung aufzunehmen und die scheinbar allgemein akzeptierten
Umgangsformen ebenfalls zu benutzen – und selber aktiv auszugrenzen.
Anmerkungen
1Pädagogische
Unterstützung müsste ihn im Selbstvertrauen stärken
und ihm Räume eröffnen, in denen er erfährt,
dass er auch mal anders als die anderen sein darf.
Vielen Dank an Reinhard
Winter für die Unterstützung bei der Interpretation
der Aussagen der Jungen.
Literatur:
- Bachmair, Ben: Fernsehkultur.
Subjektivität in einer Welt bewegter Bilder. Opladen:
Westdeutscher Verlag 1996, 356 S.
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entdecken – Medienanalyse und Medienkommunikation. In: Holly,
Werner / Püschel, Ulrich (Hg.): Medienrezeption als
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Opladen: Westdeutscher Verlag 1993, S. 43-58
- Bachmair, Ben; Kress,
Gunther: Höllen-Inszenierung Wrestling. Beiträge
zur pädagogischen Genreforschung, Opladen: Leske &
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- Böhnisch, Lothar;
Winter, Reinhard: Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme
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- Cornell, Robert W.:
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- Götz, Maya:
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- Götz, Maya:
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- Haberer, Johanna: Big Brother und das Selbstbild der Gesellschaft.
In: Big Brother, die inszenierte Banalität.
Münster, Hamburg, London: Lit-Verlag 2000 (Im Druck).
- Hollstein, Walter:
Männerdämmerung. Von Tätern, Opfern, Schurken
und Helden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999
- Horten, Donald; Wohl,
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Rambo und Softie. Adoleszenzkrisen männlicher Jugendlicher.
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Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft. BFF-Schriftenreihe
der Hochschule für Film und Fernsehen HFF "Konrad
Wolf". Potsdam-Babelsberg Bd. 55. Berlin: Vistas 2000
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Bd. 11, Köln: BZgA 1998
- Winter, Reinhard;
Neubauer, Gunter: Kompetent, Authentisch und Normal? Aufklärungsrelevante
Gesundheitsprobleme, Sexualaufklärung und Beratung
von Jungen. Eine qualitative Studie im Auftrag der BZgA.
Herausgegeben von der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) – Abteilung Sexualaufklärung,
Verhütung und Familienplanung Bd. 14. Köln : BZgA
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1998
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